almis personal blog

Mistress America

Im Votivkino/de France läuft eine Greta Gerwig Werkschau. Unbezahlte Werbung wie immer.

Ich frage das Kind, ob es sich Mistress America mit mir anschauen will. Das Kind sieht sich den Trailer an und sagt nach 15 Sekunden: “Ach du heilige…”. Ok, dann gehe ich eben alleine. Das Kind fragt, ob das nicht “sad” sei, worauf ich ihn daran erinnere, dass ich seit Monaten wöchentlich alleine ins Kino gehe. Und das sei überhaupt nicht sad, weil im Kino kann man eh mit niemandem reden. Bzw. sollte das nicht.

Ich habe Mistress America schon einmal gesehen, das ist schon viele Jahre her und es war im Heimkino. Ich bin froh, dass ich den Film nochmal auf der großen Leinwand genießen kann. Es ist vielleicht mein Lieblingsfilm mit Greta Gerwig, Regie führte übrigens ihr Mann Noah Baumbach – die beiden haben schon einige Kollaborationen zu verzeichnen. Es geht um Tracy (Lola Kirke), einer Literaturstudentin, die Brooke (Gerwig) kennenlernt, weil Tracys Mutter Brookes Vater heiraten will. Die beiden freunden sich an, Tracy ist sehr fasziniert von Brooke, einer skurille New Yorker Hipsterin, die beruflich alles und nichts macht und viele interessante (und witzige) Dinge sagt. Sie verwendet Brooke als Inspiration für ihre Kurzgeschichte “Mistress America”. Höhepunkt ist das Kammerspiel-artige Zusammentreffen von Lola und einigen ihrer Freunde, Brooke, Brookes Ex und ihrer “Nemesis” Mamy-Claire in deren Landhaus.

Dort wird auch der Witz gemacht, über den das de france Kino am meisten gelacht hat, ich spoilere ihn hier, weil er sowieso im Trailer auch vorkommt. Brookes Ex sagt zu ihr: “You are funny, because you don’t know you are funny.” Brooke: “I know I am funny, I know everything about myself. That’s why I can’t do therapy.”

Hier der Trailer:

Gerwig ist so witzig und einfach eine Ikone, sie führt ja auch Regie. Wie man ja weiß – außer man sitzt gerade am Mond – ist ihr Barbie Film gerade rausgekommen und soll super sein. Ich werde ihn natürlich ansehen und noch ein, zwei weitere Filme der Retrospektive.

Romeo und Julia

Ach so, zur neuen Bachmannpreisträgerin habe ich noch gar nichts geschrieben. Das liegt daran, dass sie einen Text über einen Mann mit Putzmanie verfasst hat und ich habe selbst keine Putzmanie, mehr noch, ich putze äußerst ungern und dadurch hält sich meine Freude an einem Text, der eine Siphonreinigung minutiös schildert, ehrlich gesagt ein bisschen in Grenzen. Ja ich weiß, das ist alles metaphorisch und will auf ein größeres Ganzes hinaus, aber es ist einfach nicht mein Metier. Überhaupt waren die diesjährigen Beiträge zum Bachmannpreis ähnlich wie die beim ESC – in der Mehrzahl eh ziemlich ok, aber es gab wenig herausragendes.

Anyway, am letzten Samstag gab es eine andere kulturelle Veranstaltung nämlich Romeo und Julia in St. Pölten. Ich war mit L. dort, denn L. und ich haben 2016/17 einen Modern Dance Kurs besucht. Dabei haben wir damals übersehen, dass wird altersmäßig nicht ganz der Zielgruppe entsprachen oder anders gesagt, wir haben den Alterschnitt der Gruppe auf circa 25 Jahre angehoben. Jedenfalls war Flo unser Trainer, ein Franzose, den Kurs hielt er Gott sei Dank auf Englisch, er war immer lieb und lustig und sein Kurs war sauanstrengend (zumindest mit 40 plus, was ich damals war, ach wie jung), jedenfalls hat Flo am Samstag den Romeo getanzt und das mussten wir uns natürlich live ansehen.

Ich bin mit der Bahn vom Hauptbahnhof in die andere Hauptstadt gefahren und obwohl es nur eine Fahrt von 30 Minuten war, war es recht mühsam, weil Zug voll mit lärmenden jungen Leute und neben mir saß eine Betrunkene. Note to self: Betrunkene nicht ansprechen. Sie hat sich nämlich beschwert, dass sie vergessen hat, in Meidling auszusteigen und somit jetzt schwarzfahre, worauf ich sie beruhigen wollte und meinte, wir wären eh gleich in St. Pölten. Daraufhin erfuhr ich auf der restlichen Fahrt ihr gesamtes Leben, versehen mit der dramaturgischen Klammer, dass diese falsche Zufahrt quasi eine Metapher dafür sei, dass sie immer falsch irgendwohin unterwegs sein und gefangen im Zug (des Lebens). Okay.

In St. Pölten angekommen, holte mich L. mit dem Auto ab und wir fuhren in den Park, wo Sommer im Park dann stattfinden sollte. Es war ein sehr lauer Abend, aber nicht so heiß wie in der Stadt. Wir aßen Schinken-Käse Häppchen und tranken Aperol Spritz und es war sehr nett. Außerdem bemerkten wir, dass Balletttänzer Beine etwas mit Formel 1 Reifen gemeinsam haben: beide müssen mit Heizdecken bzw. Moonboats-artigen Patschen gewärmt werden, bevor es los geht. Das Stück war dann sehr abwechslunsgreich. Der Akt vor der Pause irgendwie so wie ein Wimmelbild, wo ganz viel passiert – die Capulets und Montagues auf den Straßen und am Markt etc. Im Akt nach der Pause ging es dann ans Eingemachte, mit Schwertkämpfen und Liebesduett und Todeskampf. Es war wirklich toll performt und getanzt (Flo hat auch die Choreografie gemacht) und bekam sehr viel Applaus.

Romeo und Julia, Theater im Park, St. Pölten am 8. Juli 2023

Später hab ich Flo dann auf insta geschrieben, dass es uns sehr gut gefallen hat und er hat geschrieben, er wäre “very happy” darüber. Wunderbar. Wer jetzt Lust bekommen hat, heute und morgen gibt es noch zwei Vorstellungen (unbezahlte Werbung).

Dirk Stermann in Baden

Am Montag war ich im Rahmen des Stadtkulturfestivals in Baden.

An sich hatte ich geplant, gechillt zu arbeiten und dann gechillt nach Baden zu fahren. Letztendlich war es dann aber doch sehr stressig, ich hab erst um halb vier mittaggegessen und bin dann in einem sehr langsamen, stickigen Zug (Kreislaufkollapsalarm) Richtung Süden gezuckelt. Dort angekommen war aber alles super. Ein lauer Sommerabend ohne Gewitterwarnung. Biozitronen-Limonade, Lachsbrötchen und lustige Gespräche mit S. und dann startete Zusammengebraut – das Soloprogramm von Dirk Stermann.

Wie der Standard richtig schreibt, über den “unnötig verklausulierten” Titel des Stückes hätte Stermann noch ein paar Nächte schlafen sollen – es geht um die Hochzeit seiner Tochter (daher Braut – zusammengebraut, doppelter Boden, you see), wo Stermann eine lange Rede hält, obwohl die Tochter gar nicht anwesend ist, denn sie feiert ohne ihn. Wie man an dieser Prämisse schon erkennt, ist das alles nicht nur komisch, sondern über weite Strecken auch recht melancholisch. Der Vater/Protagonist geht hart mit sich selbst ins Gericht, was seine Vater-Qualitäten anbelangt.

Kurpark Baden, Dirk Sterman, 3. Juli 2023

Das Ganze ist eine Mischung aus Standup-Comedy in der Tradition von Grissemann-Stermann – also nicht “herkömmliches Kabarett”, sondern eben das Zelebrieren von schlechten Witzen, freier Narration und – was am überraschendesten war – auch (Sprech-)Gesang von Herrn Stermann (das wiederum in der Tradition von Harald Juhnke) eine selbstvertextete deutsche Version von Leonhard Cohens Hallelujah. Außerdem spielt A Whiter Shade of Pale ebenfalls eine Rolle. Man hätte ein paar Sachen anders ordnen bzw. auch etwas weglassen können, aber prinzipiell war das schon sehr unterhaltsam und gerade die zweite Hälfte auch sehr tiefgründig.

Da es einen Teich gab (siehe Foto) begann dann auch ein Frosch ziemlich laut und beständig zu quaken, was für einen Entertainer sicher gar nicht mal so leicht ist, aber Stermann hat den Frosch recht schlüssig in sein Programm miteingebaut.

Es endete wie alle Salon Helga Folgen in den 1990er Jahren endeten, mit dem modernen Gute Nacht-Dialog (statt mit Grissemann eben mit der Stimme der Tochter) und Tornero von I Santo California, da kann man schon nostalgisch werden. Außerdem weiß man gleichzeitig, dass es gleich aus sein wird. Harhar.

Ein schöner Abend.

Schulschluss und koksende Mütter

Und wieder ein Schulschluss – es ist immer ein ganz besonderer, bittersüßer Tag im Jahr, an dem ich immer irgendwie Rückschau halte. Letztes Jahr war ich so komplett traurig und niedergeschlagen, heute war ich schön melancholisch, diese Art der Melancholie, wo man nichts will als einfach seine Ruhe mit gutem Essen und Trinken und Literatur und Film und Notizbüchern.

Ich hatte heute keine Arbeitsdeadlines, ich halte mir solche Tage gern frei, für alles was so kommt, was das Kind vor hat. In der Früh hab ich einen langen Spaziergang gemacht und eingekauft (u.a. ein neues Notizbuch), als ich heimkam war das Kind schon zuhause. Er hat wieder mal einen guten Erfolg, ich weiß nicht wie er das schafft. Nach dem gemeinsamen Mittagessen auf dem Balkon hab ich den Bachmannpreis laufen lassen, und die Texte, auf die man quasi so nebenbei aufmerksam wird, wo man sich dann hinsetzt und genau zuhört, die haben eine besondere Qualität. Zwar sagt das per se noch nichts über besondere Literarizität aus, es sagt aber, dass der Text etwas mit einem macht.

Ich spreche von dem Text “Zeitmaschine” von Jacinta Nandi. Die Protaogonstin, Mutter eines kleinen Sohnes und in einer schrecklichen Ehe, sagt so Dinge wie: “So lang kein Sperma im Spiel ist, ist sie nicht fremdgegangen, das weiß sie” oder “Es kann keine Gewaltbeziehung sein, denn ich respektiere ihn gar nicht.” Es geht um eine toxische Ehe und das Mutterbild der Deutschen und es hat sehr, sehr viel bösen Witz. Die Stelle, die mich am Sofa echt lachen ließ, war Folgende: da treffen sich mehrere Mütter zum Playdate und als die Kinder schlafen, bestellen sie sich Koks. Als die Protagonistin fragt, ob es nicht verwerflich sei, zu koksen, wenn die Kinder in der Nähe sind, sagen die anderen: “Das hier ist Me-Time. Das ist Self-Care” und “Ich bin so eine gute Mutter, wenn ich auf Koks bin. Ich bin wie Heidi Klum, aber Heidi Klum in Amerika.” Das muss einem erst mal einfallen. Dann geht es noch um anzügliche Chatnachrichten an Karl Lauterbach und Johnny Depp und Amber Heard, was den Text natürlich verdächtig nahe an die Kategorie Popliteratur schiebt, aber das muss ja nicht Schlechtes sein und ich habe mich – wie gesagt – sehr amüsiert dabei.

Am Abend saß ich dann bei strömendem Regen am Balkon, erschöpft von der recht anstrengenden Arbeitswoche, aber doch zufrieden. Auch wenn Mamas keinen 9-wöchigen Urlaub haben, ein bisschen fühlt es sich doch wie Ferien an. Und morgen schau ich wieder Bachmann-Preis.

Freitagabend im Mai

Freitagabend hatten L. und ich Karten fürs Burgtheater. Es war einer der ersten richtig warmen Tage des Jahres und wir beschlossen, vorher ins Landtmann zu gehen, draußen zu sitzen, Suppe zu essen und uns mit Aperol abzufüllen. Harhar. Der Aperol war sehr stark, praktisch oder auch tatsächlich ohne Soda, wir torkelten dann ein bisschen ins Theater, was eh nicht so schlimm war, weil das direkt neben dem Landmann liegt.

Suppen im Landtmann, den Aperol hab ich vergessen zu fotografieren

Wir sahen Die Ärztin von Robert Icke. “Sehr frei”, wie es hieß “nach Professor Bernhardi von Arthur Schnitzler”. Professor Bernhardi aus dem Jahr 1912 ist eines der wenigen Werke von Schnitzler, das sich nicht mit der Psychologie von menschlichen Beziehungen (plus Duellen etc) beschäftigt, sondern mit Religion, Antisemitismus und Diskriminierung. Der jüdische Arzt Bernhardi verweigert einem katholischen Priester den Besuch einer (aufgrund einer missglückten Abtreibung) sterbenden jungen Frau, weil er sie in ihren letzten Minuten nicht in Panik vor dem Tod versetzen will. Die ganze Situation wird nach dem Ableben der Frau von Konkurrenten und Politik instrumentalisiert, die Motive von Bernhardi werden als religiös motiviert kritisiert, während er seine Entscheidung als rein humanistisch begründet rechtfertigt.

Burgtheater Wien, 5. Mai 2023

Bei Icke ist Bernhardi eine jüdische lesbische Frau, die Ärzteschaft ist divers, wobei die POC im Ensemble die Weißen spielen und die Weißen die POC, ein männlicher Darsteller ist eigentlich eine Frau und insofern könnte das Stück ja nicht zeitgenössischer sein, weil das Spiel mit den Identäten und die Wahl solcher ja der letzte heiße Scheiß ist. Ich bin ja nicht so ein Fan der Idee von 72 verschiedenen Geschlechtern, die man im Zweifel jährlich wechseln kann, aber im Stück funktioniert dieses Spiel schon ganz gut, weil es irritiert und zum Nachdenken anregt. Ich mag außerdem an dem Stück, dass es letztendlich wesentlich unplaktiver daherkommt, als man vermuten könnte und weil es sich eindeutiger Antworten verweigert.

Denn: Hat die Ärztin wirklich nur aus Empathie mit einer Sterbenden so gehandelt wie sie gehandelt hat? Oder hat sie, weil selbst säkulare Jüdin, zwar nicht dem Priester aufgrund der anderen Religion den Einlass verweigert, wohl aber deshalb, weil sie Religion insgesamt als unbedeutend im Leben ansieht? Und weil sie selbst, wäre sie an der Stelle des Mädchens gewesen, jegliche religöse Begleitung während ihrer letzten Minuten zutiefst verabscheut hätte? Ist sie wirklich nur und primär Ärztin, wie sie selbst sagt? Und: Geht es ihren Gegnern wirklich um das Schicksal des Mädchens oder ist der Vorfall nicht eher eine willkommene Gelegenheit für ihre Konkurrenten, ihre Karriere und ihren Einfluss zu beschneiden und sich selbst eine bessere Position zu verschaffen? Viel Stoff zum Nachdenken.

Buntes Rathaus am 5. Mai 2023

Im Juni nochmal am Burgtheater zu sehen (unbezahlte Werbung).

AIR

Gestern habe ich Air gesehen, den neuen Film von Ben Affleck. Ben Affleck als Schauspieler ist ja ein bisschen “umstritten”, aber als Regisseur hat er wirklich schon sehr gelungene Filme verantwortet wie etwa Argo und The Town oder Gone Baby Gone. Und er hat, nicht zu vergessen, einen Drehbuchoscar gemeinsam mit seinem Freund Matt Damon für Good Will Hunting erhalten; Damon spielt auch immer wieder in Affleck Filmen mit und in Air hat er die Hauptrolle.

Matt Damon verkörpert Sonny Vaccaro, den Brandmanager von Nike im Jahr 1984. Nike liegt als Unternehmen weit hinter Adidas und Converse zurück und vor allem im Basketball-Bereich sind sie nicht konkurrenzfähig. Nike CEO Phil Knight (Affleck selbst) und alle anderen Verantwortlichen wollen mehrere aussichtsreiche Spieler als Werbeträger verpflichten – Vaccaro ist dagegen. Er möchte das gesamte Budget für einen einzigen verwenden: Michael Jordan, den er als mit Abstand größtes Talent sieht. Man darf nicht vergessen: Der Name Michael Jordan bedeutet 1984 nicht das was er 2023 bedeutet. Jordan war damals nicht mehr als ein Hoffnungsträger. Er hätte sich im nächsten Spiel verletzen und seine Laufbahn beenden können; oder einfach ein ewiges Talent bleiben. Niemand wusste damals, dass er zum besten Basketballspieler aller Zeiten werden würde. Air zeichnet also den Weg bis zum Vertragsabschluss nach – denn wir wissen ja alle, wie es ausgegangen ist, der Überraschungsfaktor hält sich also in Grenzen.

Aber: Affleck hat mit Air einen wirklich unterhaltsamen Crowdpleaser geschaffenen, der auch für Cineasten sehenswert ist. Und das ist bei weitem nicht so einfach wie es klingt. Denn man muss es erstmal schaffen, Spannung in einem Plot zu erzeugen, wenn ohnehin schon jeder Zuseher weiß, wie die Sache ausgeht. Das gelingt Affleck vor allem damit, Vaccaro die Macht zu geben, das ganze Unternehmen Nike, und damit vor allem Vaccaros gute (nicht nur Geschäfts)Freunde, direkt mit in den Abgrund zu reißen, wenn er sich irrt. Denn alle wissen, wenn sie Vaccaro vertrauen und es geht schief, ist jeder seinen Job los. Eine Menge Verantwortung, eine Menge Nervenkitzel.

Man muss es auch erstmal schaffen, wirklich amüsante Dialoge zu schreiben – bereits in den ersten Minuten haben die Leute in meiner Vorstellung mehrmals gelacht, auch ich – und gleichzeitig dabei niemals auf billiges Amüsement zu setzen, sondern auf kluge und sehr schnelle Wortwechsel, die den Zuseher fordern, auch wirklich zuzuhören. Und man muss es außerdem schaffen, praktisch jede Rolle so zu besetzen, dass man sich keine andere Person in eben dieser Rolle vorstellen könnte. Schön, speziell Jason Bateman und Chris Messina (der einen wirklich interessanten Typen in Six Feet Under gespielt hat) wiederzusehen.

Dazu kommt, dass Affleck alle Menschen mit einem 80ziger-Faible erfreut (mich!), weil er den Film mit Money for Nothing von den Dire Straits eröffnet, und es ihm dabei gelingt, sich noch während der Opening Credits, quasi im Vorbeigehen, an allen 80ziger Jahre Klischees abzuarbeiten – Rubik’s Cube, Knightrider, Aerobic, Dauerwelle, Slinkys, Ronald Reagen, Trivial Pursuit et al – sodass man beim Beginn der ersten Szene wirklich das Gefühl hat, man befindet sich direkt im Jahr 1984.

Air ist kein Sportfilm, auch kein Film über Michael Jordan, der übrigens nie direkt gezeigt wird und kein Wort spricht, es reden immer nur seine Eltern (die Mutter: Viola Davis), ja es ist nicht einmal ein Film über Sneakers. Am ehesten ist es ein Workplace-Movie, der Menschen porträtiert, die an eine Sache glauben und dafür Risken eingehen. Aber dabei – und das gefält mir am besten an Air – sich selbst niemals tierisch ernst nimmt. Die großen Inspirationsreden werden zwar gehalten, aber auch ironisch kommentiert, was ihren Wert nicht schmälert, dabei aber das Pathos beseitelässt, das allzu oft amerikanische Filme vergiftet.

OV (aber sicher anstrengend ob der vielen Informationen) und OmU ist empfehlenswert:

P.S Danke an Benjamin für den Hinweis, dass Affleck NICHT bei Gone Girl Regie geführt hat, wie hier zuerst angegeben – das war nämlich David Fincher. Mea culpa!

Briefwechsel Bachmann/Frisch

Am Mittwoch war ich bei einer Veranstaltung des Literaturmuseums. Es wurde von zwei Schauspielern aus dem Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch vorgelesen und dann haben zwei der Herausgeber darüber gesprochen.

Zunächst mal: Ich war on time dort, es gab keine Anmeldung und als Germanistin bin ich es doch eher gewöhnt, dass Veranstaltungen selten überlaufen sind. Nicht so diesmal. Der Saal war voll, es gab keine Sitzplätze mehr, es mussten Stockerl geholt werden, der Vorraum war dann auch ziemlich gut gefüllt, also schon sehr erstaunlich, dass dieses Thema ein solcher Banger ist. Die Stellen, die vorgelesen wurden, waren relativ “bezeichnend” für die Entwicklung der Beziehung, die von 1958 bis 1963 dauerte, daheim angekommen, hab ich gesehen, dass ich einige Stellen davon selber in meinem Buch markiert hatte.

Spannend wurde es aber danach, als die Herausgeber diskutierten und es lässt sich zusammenfassen, dass die österreichischen Herausgeber eher auf Bachmanns Seite stehen, die aus der Schweiz (von denen niemand anwesend war, aber sie wurden von den Österreichern öfter mal erwähnt) auf der Seite von Frisch. Man muss halt sagen, dass das Narrativ, dass der “Technokrat” Frisch Bachmann zerstört hat, eher in unseren Zeitgeist passt, wo der alte weiße Mann per se an allem schuld ist; nur, wenn man die 600 Seiten gelesen hat, muss man halt auch feststellen: So war es nicht. Der Titel “Wir haben es nicht gut gemacht” – diesen Satz schreibt Frisch am Ende der Beziehung – ist zutreffend. Beide sind gleichermaßen für diese Beziehung und ihr Ende verantwortlich, m.E. nach.

Herausgeber Hans Höller sagte beispielweise über Frisch, na ja, die Beziehung hat ja in Wahrheit gar nicht diese vollen fünf Jahre gedauert, weil Frisch ja im Herbst 1962 schon mit seiner späteren Ehefrau Marianne zusammen war; dabei blendet er wohl aus, dass Ingeborg Bachmann bereits 1959 eine Affäre mit Hans Magnus Enzensberger und später eine mit dem italienischen Germanisten Paolo Chiarini hatte, von dem sie Frisch schrieb, dass sie diesen “sehr gerne habe”. Das hat Frisch einen großen Schmerz zugefügt, auch wenn sie eine mehr oder weniger offene Beziehung hatten. Auch bekrittelt Höller, dass Frisch mit Marianne ein Haus bezogen hat, mit Bachmann “nur” eine Wohnung. Ich weiß zwar nicht genau, wieso eine gemeinsame Wohnung ein kleinerer Liebesbeweis als ein Haus sein soll, aber dazu muss man grundsätzlich sagen, dass Frisch Bachmann ja heiraten wollte, sie sich aber absolut nicht als Ehefrau sah und ihm das auch in einem der Briefe geschrieben hat. Man kann Frisch da also nicht mangelndes Commitment vorhalten, wenn dieses von Bachmann gar nicht gewünscht war.

Höller wirft Frisch auch vor, dass er Bachmann beobachtet hatte, und dann Dinge in seinen Bücher, v.a. in Mein Name sei Gantenbein verarbeitet hatte; Bachmann wiederum hat das Verhalten von Frisch angeblich in Der Fall Franza und auch Malina einfließen lassen. Na ja, dann sind sie eh wieder quitt. Und im übrigen denke ich, dass jeder Schriftsteller, jede Schriftstellerin die Dinge, die sie erlebt, auch in ihren Werken verarbeitet, die einen mehr und offensichtlicher, die anderen weniger. Dann betonen die Herausgeber, dass Bachmann soviel Arbeit mit dem Überarbeiten des Gantenbein hatte – was sicherlich stimmt, andererseits überließ Frisch ihr das Manuskript vor der Veröffentlichung und ließ sie zu persönlichen Stellen auch durchaus streichen bzw ändern.

Beide hatten Probleme mit dem Zusammenleben an sich, sie konnte nicht arbeiten, wenn er anwesend war, auch er flüchtete immer wieder und zog sich von ihr zurück, zeitweise lebte sie in der Schweiz und er in Rom, dann sehnten sie sich nacheinander, nur um dann wieder aneinander zu verzweifeln. Ja, das ist tragisch und traurig, aber ich sehe keine einseitige “Schuld” bei Frisch. Beide hatten ihre Baustellen und Unzulänglichkeiten. Es ist eine wechselseitige Verwundung, wenn man diese Briefe liest, manchmal ist das auch für einen als Leser hart und schmerzvoll. Die Verarbeitung einer Trennung ist für viele Menschen eine enorme Herausforderung, es liegt auch an jedem selbst, wie er oder sie damit umgeht, diese Verantwortung sollte jede(r) für sich selbst übernehmen und auch den eigenen Anteil berücksichtigen.

Verpuppt

Diese Woche hab ich mir online eine Lesung von der Bachmannpreisträgerin 2022 Ana Marwan zu ihrem neuen Roman Verpuppt angesehen. Der Roman wurde aus dem Slowenischen übertragen, sie hat aber die Übersetzung nicht selbst gemacht. Nun hat der Moderator Manfred Müller sie gefragt wie das so ist, wenn sie ihren Text einen Tag auf Slowenisch, am anderen auf Deutsch liest. Ana Marwan sagte, sie habe lange darüber nachgedacht, wie sie das Gefühl beschreiben solle:

Es ist so wie wenn man klein ist und einen Kanarienvogel hat und dieser stirbt und die Eltern ersetzen ihn durch einen neuen und niemand merkt wirklich den Unterschied, aber du selbst weißt es ganz genau.

Und im Nachsatz:

Als ich das bei meiner letzten Lesung auf einer Bühne das erste Mal erzählt habe, hab ich fast geweint. Ich weiß nicht warum. Ich hatte nie einen Kanarienvogel.

Jedenfalls eine sehr schöne Metapher.

San Remo & Madame

Diese Woche findet das alljährliche San Remo Musikfestival statt, das ist sowas wie der Songcontest in Italien. Also San Remo ist den Italienern tatsächlich wichtiger als der ESC. Aber der Sieger von San Remo fährt dann (in der Regel, es sei denn, er will nicht) als italienischer Vertreter zum Song Contest.

San Remo läuft fünf Tage hintereinander, immer von ca. 21 Uhr bis ich weiß nicht, 2 oder 3 Uhr früh, so lange bleib ich nicht auf. Es werden nicht nur die Kandidaten präsentiert, die antreten, sondern es treten alle möglichen italienischen (Alt)-Stars auf und singen und reden irrsinnig viel, wie diesmal zum Beispiel Schauspieler Roberto Benigni, der 1999 den Oscar für La vita e bella gewonnen hat. Manche werden sich noch an seinen Auftritt erinnern. Auch bei San Remo ist er unstoppbar, was diesen schönen Tweet begründet:

San Remo ist für die herausragende Qualität seiner Songs bekannt, Italien versteht was von Musik, es ist immer eine Freude. Diesmal scheint Marco Mengoni Favorit zu sein, der – die Nerds werden sich erinnern – bereits 2013 für Italien angetreten ist, mit dem Song L’essenziale. Bei dem Lied kriege ich immer Gusto auf Pizza und Rotwein. Er wurde damals 7. Dieses Jahr tritt er mit Due Vite an und stilistsich hat er sich sehr verändert, also vor allem Outfit-mäßig. 2013 war er noch so Typ Glanzanzug, heuer ist es mehr so Ganzkörper-Leder.

Der Song ist recht schön, wenn auch nicht revolutionär – richtig toll find ich Madame mit Il bene nel male. Wäre auch wieder mal ein Song über eine toxische Beziehung, wie sie voriges Jahr beim ESC sehr oft vorgekommen sind, zum Leidwesen mancher Kommentatoren harhar. Aber das ist so ein richtig aktuelles Stück Musik finde ich, der ganze Auftritt, der bittersüße Text, insgesamt so unaufdringlich gut. Mag ich sehr.