almis personal blog

Allein, alleiner, alleinerziehend

Im Moment habe ich einige Bücher (teils virtuell) auf dem Nachtkästchen liegen. Gerade hab ich Christine Finkes Erstling Allein, alleiner, alleinerziehend fertiggelesen.

Ich bin zwar nicht alleinerziehend, kenne Finke allerdings von ihrem Blog Mama arbeitet und lese sie dort sehr gerne. Sie berichtet auf dem Blog und auch ihrem Buch von ihrem Alltag als Alleinerziehende mit drei Kindern. Finke gehört zu den Alleinerziehern, die komplett auf sich gestellt sind, da der Vater seinen Verpflichtungen quasi nicht (abgesehen von einer Woche im Jahr) nachkommt, die Großeltern leben weiter entfernt und sind auch schon älter, sie hat also kein Backup für den doch oft aufreibenden Alltag mit Kindern.

Außerdem ist sie selbstständig tätig. Auch beruflich fehlen also gewisse Sicherheiten. Andererseits, und das schreibt Finke selbst, wäre es in ihrer Situation auch schwierig, ein Angestelltendasein zu führen, denn die Kinder haben natürlich oft frei und/oder sind krank, verletzten sich, können aus vielerlei Gründen nicht in ihre Betreuungseinrichtungen. Als Selbstständige (das ist auch meine Erfahrung) hat man da einen Vorteil, wenn gleich sich nähernde Deadlines, Akutprojekte und ähnliches einen manchmal ebenfalls ganz schön unter Druck setzen können.

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Trotz des schwierigen Themas liest man Finkes Buch fast in einem Rutsch durch und das liegt an ihrer Schreibweise, die so locker-leicht ist, wie man sie gerade hier nicht wirklich erwartet. Finke hat, trotz aller Schwierigkeiten, ihren Humor und die Liebe zum Leben nicht verloren, wenngleich sie auch nicht beschönigt, dass ihre Situation sie oft an die Grenzen des Erreichbaren führt. Denn wenn man schon als herkömmliche Mutter kaum krank werden kann, abendliche Ausgänge oft generalstabsmäßig geplant werden müssen und man immer den Kopf voll mit to do Listen hat, so ist es bei Finke naturgemäß (3 Kinder, kein Geld für Babysitter) fast ein Ding der Unmöglichkeit.

Ich hoffe, dass Finkes Buch dazu beitragen wird, die Leistungen von Alleinerziehenden nicht nur mehr zu schätzen und nicht über ihre Lebenssituation zu urteilen – tatsächlich ist niemand gefeit davon, irgendwann mal in diese Lage zu kommen – sondern auch den Familienbegriff dahingehend zu erweitern, dass sie als vollwertige Familien gelten, ebenso wie die klassische Vater-Mutter-und-zwei-Kinder Konstellation.

Aufgrund der leichten Lesbarkeit des Buches und Finkes Stil generell würde ich mich freuen, bald einen Zweitling zu lesen.

Greg-Mania

Zum ersten Mal hab ich von Gregs Tagebuch vor ein paar Jahren gehört, als der Sohn einer Freundin davon schwärmte. Dann kam vor einigen Wochen das Nachbarskind damit. Und nun ist der Hype (zurecht, meiner Meinung nach) bei uns angekommen.

Das gipfelte darin, dass das Kind gestern Band 3 an einem Tag ausgelesen hatte und wir deshalb – am Sonntag! – zu Thalia Wien Mitte mussten, um Nachschlag zu besorgen.

Wie man sieht, gibt es dort einen eigenen Greg-Tisch:

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Greg 4 wurde heute komplett verschlungen, Band 5 und 6 haben wir jetzt noch vorrätig.

Brunetti – weiter gehts

Nachdem ich mittlerweile bei Fall 21 angekommen bin, ist es an der Zeit, Resümee über Fall 11 bis 20 zu ziehen.

Ich habe ja nach dem 10. Fall, der ungewohnt actionreich war gedacht, dass dieser Trend möglicherweise in den folgenden Büchern beibehalten wird. Dem war nicht so. Absolut nicht. Im Gegenteil, die Actionkurve zeigt in den folgenden Romanen steil nach unten. Und teilweise habe ich mir, so jetzt im Rückblick, nicht mal mehr genau gemerkt, wer im jeweiligen Fall letztendlich der Täter war. Was nicht unbedingt so schlimm ist, liest man die Leon-Romane in erster Linie für Gesellschaftskritik, die Beschreibung der Abendessen im Hause Brunetti und wegen des venezianischen Flairs, was immer gelingt. Außerdem lese ich die Krimis immer zum Einschlafen…

Mein Lieblings-Brunetti diesmal ist Nr. 19 ist Auf Treu und Glauben, im Zuge dessen Handlung sich Brunetti eigentlich auf dem Weg nach Südtirol befindet, um dem heißen August in Venedig zu entfliehen. Leider schafft er es noch nicht mal bis Bozen, wegen eines Mordfalles wird er zurückbeordert, genau wie Vianello, der mit seiner Familie in Kroatien urlaubt. Den Fall fand ich dann sogar erstaunlich spannend und komplex

Auch die Fälle 18 (Schöner Schein) und 20 (Reiches Erbe) fand ich sehr gelungen, ebenso wie den Fall 21, den ich jetzt gerade lese, man könnte also sagen, dass sich Frau Leon nach ein paar kleineren Durchhängern für mich wieder zu neuen Höhen emporschwingt.

Leider bleiben mir nach dem aktuellen Band nur noch drei Brunettis zu lesen. Panik!!!

Oh Paola

Ich bin immer noch bei den Brunetti Krimis, hab gerade Fall 14 abgeschlossen. Im Moment brauche ich für ein Buch ziemlich lange, weil ich abends nur ein paar Seiten lese, bis mir im Bett die Augen zufallen.

Jedenfalls frage ich mich: gibt es irgendwo einen “Ich finde Signora Brunetti ur nervig” Club oder eine Facebookgruppe dazu? Mir geht die Ehefrau von Guido jedenfalls mehr und mehr auf den Zeiger. Warum das?

Paola ist ungefähr so alt wie Guido, also so Mitte vierzig, die beiden haben zwei Kinder im frühen und späten Teenageralter. Paola stammt – im Gegensatz zu Guido – aus sehr wohlhaben Verhältnissen, sie ist die Tochter von Conte Falier. Paola arbeitet auf der Uni und lehrt englische Literatur. Einerseits gibt sie sich liberal, etwa, wenn sie sich für Frauenrechte einsetzt oder gegen die Kirche wettert, andererseits ist sie nicht sehr tolerant, was andere Meinungen betrifft. Sie ist schon der Ansicht, dass sie selbst die Weisheit mit Löffeln gefressen hat und das sollte ihr Gegenüber eigentlich stets zu schätzen wissen.

Manchmal verhält sie sich auch recht naiv, bzw. wie ein “typisches” verwöhntes Kind aus gutem Haus. Zum Beispiel im Buch In Sachen Signora Brunetti, als sie Selbstjustiz an einem Reisebürobesitzer übt, der Sextourismus mit Minderjährigen anbietet. Ihr Zorn ist ja zu verstehen, aber muss sie deshalb mehrmals Pflastersteine in die Auslage des Reisebüros werfen? Macht sie sich mehr als fünf Sekunden darüber Gedanken, dass sie damit die Anstellung ihres Mannes gefährdet? Wäre sie nicht Erbin eines beträchtlichen Vermögens, würde sie vielleicht etwas mehr Angst vor Konsequenzen haben, und ihre berechtige Kritik etwas anders artikulieren?

Kochen kann sie allerdings fabelhaft; wenn sie mittags* zuhause ist, gibts schon da ein dreigängiges Menü für die Familie, sonst erst abends. Ach ja und was ich mich schon länger frage: Hat sie nicht eigentlich den falschen Nachnamen und müsste Signora Falier heißen? Denn in Italien nehmen Ehefrauen normalerweise nicht den Namen ihrer Männer an.

* Die Mittagspause von Guido Brunetti dauert manchmal gut und gerne drei Stunden, Mittagessen, ein kleines Schläfen, um 15 Uhr dann zurück in der Questura, wo er dann noch so drei Stündchen arbeitet.

Brunetti so far

Nach den ersten 10 Brunettis von Donna Leon ist kurz einmal Zeit, um eine erste Bilanz zu ziehen.

Vorneweg: ich habe alle gerne gelesen, und ich bin froh, dass noch 15 Fälle auf mich warten, denn ein bisschen bin ich süchtig nach Donna Leons Comissario, nach seinem Wirkungskreis Venedig und seinen Ermittlungen, wobei die Fälle gar nicht sonderlich spannend sein müssen (und in der Regel auch nicht sind), um mich zu überzeugen.

Dazu gibt es zwei Ausreißer: Fall 6 (Sanft entschlafen) ist wirklich etwas, äh langsam. Nach 78 Prozent Lesefortschritt am Kindle war noch nicht mal klar, ob es einen “Fall” gibt und am Ende war ich mit der Auflösung nicht wirklich sehr glücklich, bzw. blieb etwas ratlos zurück. Aber vielleicht wollte Leon auch zeigen, dass Kriminalfälle eben manchmal so sind. Beiläufig und unspektakulär. Falls sie das wollte, ist es hervorragend gelungen, harhar. Fall 10 (Das Gesetz der Lagune) dagegen ist am Ende extrem mitreißend, das ist pure Action. Sehr überraschend. Ich bin neugierig, ob das sich dieser Trend in Zukunft fortsetzt.

Meine Lieblingsfälle bis dato sind Fall 1 (Venezianisches Finale), Fall 3 (Venezianische Scharade) und eben Fall 10. Fall 8 (In Sachen Signora Brunetti) hat mich etwas wütend auf Brunettis sonst so beeindruckende Frau Paola gemacht, aber in den letzten zwei Büchern hat sich diese Emotion wieder verflüchtigt.

Meine Lieblingsfigur abgesehen von Brunetti ist allerdings die Sekretärin von Vice-Questore Patta, Elettra Zorzi. Knapp vor Sergente Vianello, den wohl jeder gern hat.

Ich freue mich auf die nächsten 15 Bände!

Being Guido Brunetti

Mittlerweile bin ich bei Commissario Brunettis fünftem Fall in Venedig angekommen, also hab ich ja noch knapp zwanzig vor mir.

Ich mag Guido Brunetti einfach, und wie unaufgeregt, gleichzeitig aber sehr korrekt und kultiviert er seine Fälle in Venedig löst. Wenn man ein Fan davon ist, dass der Verbrecher am Ende seine gerechte Strafe bekommt, dann sind die Donna Leon Krimis aber vielleicht nicht das richtige. Und das nicht, weil Brunetti ein schlechter Kommissar ist – im Gegenteil, er findet den oder die Täter bisher immer – dennoch ist es durch die mafiösen Strukturen in Italien nicht automatisch so, dass die Verantwortlichen auch zur Rechenschaft gezogen werden können. Es gibt immer jemand Höheren, der die Fäden zieht und das oft zu verhindern weiß, wenn es irgendjemand noch Höherem nicht behagt…ich hoffe persönlich inständig, dass das pessimistische Bild der italienischen Exekutive und Legislative stark überzeichnet ist. Sehr stark.

Ansonsten mag ich die detaillierten Venedigbeschreibungen, die echt spannend sind, wenn man die Stadt kennt und sich dort auch schon dutzende Male verlaufen hat, ja zwanzig Minuten im Kreis gerannt ist, nur am Ende wieder am selben Ausgangspunkt zu stehen; und ich mag den trockenen Humor der Bücher –

Einmal etwa legt Brunetti einem Zeugen diverse Fotos vor, dieser blättert sie durch und meint, die sehen alle aus wie Verbrecher; sein Kunde hätte den Eindruck seines rechtschaffenen und seriösen Bürgers gemacht, so wie ein Politiker. Darauf denkt Brunetti: Ist dieser Mann wirklich gebürtiger Italiener?

Einmal drapiert Frau Brunetti zuhause Tomaten im Kreis zwischen Mozerella auf einem Teller, Brunetti kommt nachhause und fragt: “Gibt es heute etwas Caprese zum Abendessen?” und seine Frau antwortet ihm: “Es wundert mich nicht mehr, dass du zur Polizei gegangen bist.”

Ach ja, eine Menge Italienisches steckt auch in den Bücher, also abgesehen von Venedig, dem Essen, dem Café, und den großen Gesten. Es sind zahlreiche italienische Ausdrücke und auch Sätze eingestreut. Wenn man nicht Italienisch kann, macht das aber auch nichts. Das meiste wird übersetzt oder umschrieben. Oder man erfühlt einfach, was gemeint ist.

Il Tedeco/ La Tedesca

Auf Twitter kann man sich mitunter auch gute Buchtipps holen. So bin ich auf die Autorin Chiara Ravenna gestoßen, die ihre Bücher zu einem sehr fairen Preis auf Amazon vertreibt (& auch gerne und pointiert twittert).

Chiara Ravenna ist Italienerin aus der Emilia Romagna und erzählt in ihrem ersten Werk Il Tedesco ihre Familiengeschichte, wie sie zu ihrem Beruf der Restaurateurin kam, was das alles mit Deutschland zu tun hat, und noch sehr vieles mehr. Da liegt auch gleich das kleine (!) Manko des 1. Teils begründet. Ravenna hat einen wunderbaren Schreibstil, sie vermittelt authentisches Italien-Feeling, und ihr Text ist so leicht wie eine Sommerbrise an der Adria, allerdings will sie in Il Tedesco etwas zuviel erzählen und nicht alles wird zuende geführt oder plausibel gemacht. Der titelgebende Deutsche (“Tedesco”) spielt nicht unbedingt die Hauptrolle. Wenn man darüber hinwegsieht, ist es allerdings die perfekte Strand- oder Abendlektüre.

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In Teil 2, La Tedesca, ist es Ravenna meiner Ansicht nach besser gelungen, einen Text wie aus einem Guß zu produzieren, weil sie mehr im hier und jetzt bleibt und sich stärker auf einen Handlungsstrang konzentriert. Obwohl der zweite Roman großteils in München spielt, ist er genauso italienisch wie sein Vorgänger. Zwar wird auch hier nicht restlos alles “auserzählt”, aber das tut der Lesefreude keinen Abbruch, zumindest für mich nicht. Ich kippe leicht in die von der Autorin vermittelte Welt hinein, und genieße es, für ein paar Stunden quasi Teil davon zu sein.

Allerdings, Achtung: Bei Ravennas Bücher bekommt man immer Hunger – sie schildert alle paar Seiten detailreich italienische Menüfolgen (Antipasti, Scampi, Pasta Vongole, Meeresfisch in allen Variationen, usw, seht Ihr, was ich meine?); und wenn man gerne Wein trinkt (was auf mich – hier gottseidank – nicht zutrifft), schenkt man sich zur Lektüre sicher hin und wieder einen guten Rotwein ein. Von reichlichem Caffe-Konsum ganz zu schweigen. Als Abschluß trinkt die Autorin meist Limoncello. Auch den könnte man wohl mal probieren…

Nachdem ich nun beide Romane beendet habe, wünsche ich mir eigentlich so schnell wie möglich ein Nachfolgebuch. Und angeblich arbeitet die Autorin daran auch schon mit Hochdruck. Fahre im Juli an die Adria. Bitte – danke. Harhar.

Aberland

Am Freitag Abend hatte ich überraschend kindfrei, Mann war auch unterwegs, da war ich zuerst leicht überfordert, hab mir dann aber meinen Kindle geschnappt und beschlossen, endlich Aberland von Gertraud Klemm zu lesen, den Roman, den ich mir schon vor einiger Zeit heruntergeladen hatte.

Aberland, bzw. das erste Kapitel davon, war beim Bachmannpreis 2014 gelesen und heiß diskutiert worden. Der Autorin war es gelungen, dafür den Publikumspreis zu gewinnen. Warum war Aberland so extrem umstritten? In Kapitel 1 (und das Thema zieht sich auch durch den Roman), geht es um die 35 jährige Franzisika, verheiratet, ein kleines Kind, und ihr persönlich Unglück. Denn Franzisika befindet sich in einem Leben, in das sie eigentlich so gar nicht führen will. Sie arbeitet mehr schlecht als recht an ihrer Dissertation und würde sich dann gerne beruflich verwirklichen, aber ihr Mann Tom will unbedingt noch ein zweites Kind, was sie sich gar nicht vorstellen kann, da sie – und da war Klemm der aktuellen #regrettingmotherhood Debatte um die Nasenlänge voraus – die Mutterschaft und alles, was damit zusammenhängt hasst. Sie hasst nicht ihren kleinen Sohn Manuel, aber alles, was mit Kleinkinderziehung/Betreuung und Pflichten (auch von außen vorgegeben) zu tun hat.

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Der Text ist – zugegebenermaßen – bitter und stellenweise sehr hart formuliert. Bei #Regrettingmotherhood wurde vor kurzem gemeint, dass Mütter manchmal noch nicht mal vor sich selbst zugeben können, dass sie ihre Mutterrolle verabscheuen. Das gilt nicht für Franzisika, sie nimmt sich kein Blatt vor dem Mund und betreibt alles andere als Selbstzensur. Was Juror Burkhard Spinnen im Sommer auch sehr missfiel. Er verstand nicht, welches Problem Franzisika denn eigentlich hätte? Ihr Kind wäre gesund und munter, ja vielleicht etwas lebhaft und laut, aber mein Gott, das wäre doch alles normal! Warum darüber klagen und einen langen Text schreiben?

Das fand wiederum ich befremdlich, denn wenn wir so denken, können wir Literatur gleich abschaffen. Denn mit vielen Dingen, die Autoren schreiben, müsste man sich nicht auseinandersetzen, man könnte sie einfach vom Tisch wischen, wie Spinnen dieses ungeliebte und ihm unangenehme Thema. Wenn ein Depressiver etwa über seine Gefühle schreibt, kann man genauso sagen: “Hey reiß dich mal zusammen, du hast doch gar keinen Grund, traurig zu sein.” Daniela Strigl hat sehr passend auf Spinnen geantwortet: “Könnte es nicht sein, dass wir es nicht aushalten, wenn ein derartig düsteres Welt- und Lebensbild von einer souveränen Position aus, die weiblich ist, zur Sprache gebracht wird?” Ja, so ist es, denke ich und das ist auch das, was wir bei #regrettingmotherhood erleben. Jeder Ansatz davon, Mutterschaft nicht mehr zu verklären, wird von vielen panisch abgewehrt.

Aberland jedenfalls ist das Buch einer Autorin, die wahnsinnig präzise beobachtet und formuliert und es schafft, die Gefühlslage der Protagnostin richtiggehend fühlbar zu machen:

“Und gerade als Manuel ein bisschen robuster war, als er endlich mit dem Schreien aufhörte, als er ordentlich trinken konnte und ihr dabei in die Augen sah, als die Liebe über das schiere Gewährleisten des Überlebens hinauszugehen schien, spuckte er die Brust aus, drehte den Kopf weg und begann sich rückwärts schiebend die Welt untertan zu machen, immer weg von Mama.”

Aberland ist aber nicht nur die Geschichte dieser Tochter, sondern auch ihrer Mutter, die ihr Leben lang das getan hat, was Franziska nicht will: nur für ihre Familie da zu sein, keinen Beruf, keine Hobbys, keine Affäre – wie sie selbst sagt: trotz Gelegenheit. Irgendwann waren die Kinder weg, die Enkel kommen spärlich und selten zu Besuch, und jetzt hat sie einen Mann zuhause, der in Pension ist, und sie hat keine Ahnung, was sie mit dem Rest ihres Lebens (sie ist erst 58) noch anfangen soll. Ihre eigene Mutter ist Franzisika, wenn man so will, eine lebendige Warnung davor, wie ihr Leben verlaufen kann. Zuerst soll die Mutter immer da und verfügbar sein, sich selbst nicht so wichtig nehmen, doch dann, wenn die Kinder erwachsen sind, dann soll sie bitteschön schnell loslassen und sich unsichtbar machen.

Aberland ist keine Erbauungsliteratur. Der Roman ist schon starker Tobak, aber eben auch gnadenlos ehrlich, aus der Sicht seiner Protagonisten. Und er beleuchtet die andere Seite der Mutterschaft, die Herausforderung, trotz Kindern auch ein eigenständiger Mensch zu bleiben. Und erzählt von der schwierigen Balance, die es für jede Mutter zu finden gilt. Täglich.

Vorlesen zwei

Mittlerweile hat sich unser abendliches Vorleseritual verfestigt und wir haben schon zahlreiche Bücher ausgelesen. Zwei sehr unterschiedliche Bücher aus der Kindheit in den Achtziger Jahren möchte ich heute etwas näher vorstellen.

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Die Kindergeschichten von Peter Bichsel stammen von Mr. Almi. Und die sind sehr schräg! Da gibt es zum Beispiel die Geschichte von Mann, der nichts mehr wissen wollte. Der setzte sich in ein Zimmer und wandte sich von der Welt ab. Dann fiel ihm aber ein, dass er viele Dinge ja noch gar nicht weiß, die er wissen muss, damit er dann von ihnen sagen kann, dass er nichts mehr von ihnen wissen will. Wie zb. die chinesische Sprache. Also lernt der Protagonist Chinesisch.

Oder in der Geschichte vom Erfinder, der irgendwo alleine ein Wald lebt und Dinge erfindet. Einmal erfindet er den Fernseher. Als er nun in die Stadt geht und seine Erfindung präsentieren will, kommt er drauf, dass es den Fernseher schon gibt. Also geht er nachhause und erfindet alle Dinge, die er in der Stadt gesehen hat, wie das Auto oder die Rolltreppe neu. Und in der Geschichte vom Jodok spricht der Großvater nur vom Onkel Jodok und irgendwann werden auch die Verben zu “Jodok” und dann die Substantive und bald bestehen die Sätze nur noch aus der Aneinanderreihung von “Jodok”. Ich sage ja: schräg. Oder: avantgardistisch.

Das andere Buch, Mädchen dürfen pfeifen, Buben dürfen weinen, meines, ist eines, dass man als sozialkritisch und auf Gender-Mainstreaming ausgerichtet bezeichnen kann, zu einer Zeit, als es das Wort noch gar nicht gab. Es geht um schwierige familäre Situationen wie Scheidung und Patchwork, es geht um Gleichberechtigung und vor allem geht es um den Tod. Also nicht richtig um den Tod selbst, aber in praktisch jeder Geschichte ist jemand (oder auch viele) tot. Mr. Almi fragte beim Betreten des Zimmer schon immer, wer denn jetzt wieder gestorben sei. Harhar.  Ein Buch, das als Zeitdokument sehr interessant ist, als Vorlesebuch vielleicht etwas düster.

Jetzt gerade lesen wir ein Buch, das das Gegenteil davon ist, nämlich herzerfrischend witzig. Und es ist von einer meiner LieblingskinderbuchautorInnen, Christine Nöstlinger:

16.03.15 - 1

Vorlesen

Jetzt sind wir – eher spät wie ich finde – bei der abendlichen Vorlesestunde angekommen. Lange Zeit hat Adrian das Vorlesen nicht so begeistert, also abseits von Büchern mit sehr vielen Bildern, “nur” Text hat ihn nicht so angesprochen. Aber jetzt dafür ist er höchst interessiert und mag dieses Ritual vor dem Schlafengehen sehr.

Ich habe dafür meine eigenen Lieblingskinderbücher ausgegraben und gleich mal mit dem Buch Neues aus dem Haus Marillengasse 4 gestartet. Dass es ein Lieblingsbuch von mir war, sieht man an den Schokoflecken auf manchen Seiten. Ähem. Jedenfalls handelt das Buch von den Bewohnern des Hauses Marillengasse 4, vornehmlich von den (zahlreichen) Kindern. Manche Geschichten wurden früher auch für Schul-Lesebücher verwendet.

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Das Buch ist sehr witzig und auch sehr Wienerisch. Es gibt viele Ausdrücke, die auf den Ort des Geschehens hinweisen, beispielsweise hat die Frau Bierer ein Taschapperl. Entgegen der ersten Annahme handelt es sich dabei aber nicht um ein Kind, sondern um ihr permanent kaputtes kleines Auto. Der Papa vom Wolfi ist klaß, der Rudi Rabenberger sagt Kruzitürken (was eventuell nicht mehr ganz PC ist) und die Frau Lehrerin hat einen Janker, usw.

Interessant sind manche Dinge, die sich in dreißig Jahren geändert haben. Natürlich erstmal gab es damals statt Schilling noch Euro. Und es gab Telefonzellen, wo man öffentlich telefonieren konnte. Es gibt ein Kind einer geschiedenen Frau, deren Eltern wieder (andere) heiraten und das scheint hier noch etwas außergewöhnlich zu sein. Was aber am erstaunlichsten ist: Kinder durften erst ab 14 Jahren als Gäste ein Krankenhaus betreten, es ist aber kein Problem für die 9, 10 jährigen Kinder in der Trafik Zigarren zu kaufen. Da sagt die Trafikantin nur “Ihr werdet Bauchweh kriegen”. Die Kinder haben die Zigarren zwar eh nur als Geschenk gekauft, aber das wusste die Verkäuferin ja nicht.

Früher war also doch nicht alles besser!