almis personal blog

ESC 22

Endlich hat sich Italien dazu bequemt, die Stadt zu nennen, in der sie nächstes Jahr beabsichtigen den ESC auszutragen und es ist:

In Turin war ich sogar schon mal, auf dem Weg von einer Reise durch die Schweiz nach Monaco (es war nicht der billigste Urlaub meines Lebens…) Ich hab irgendwie gar keine Erinnerungen daran, außer, dass ich bei einer Pizzeria eine Viertelstunde vor dem WC warten musste, keine Ahnung, was das bedeutet, dass mir sonst nichts dazu einfällt, es ist sicher eine schöne Stadt.

Die Semifinali werden am 10. und 12. Mai stattfinden, das Grand Finale dann am 14. Mai 2022.

Die Quellenstraße

Die Quellenstraße im 10. Bezirk ist eine der wildesten Straßen der ganzen Stadt, würde ich mal sagen. Ich habe viele Jahre lang in unmittelbarer Nähe gewohnt.

Verkehrstechnisch sind dort alle Regeln der STVO außer Kraft gesetzt, es herrscht Anarchie, sowas wie Blinken oder vorausschauendes Fahren findet keine Anwendung, und das, obwohl die Straßenbahnlinie 6 (die selbst als ziemlich abenteuerlich bezeichnet werden kann) dort fährt. Aber das ist natürlich nicht alles. Es wurrelt vor Menschen in der Quellenstraße, sodass man sich augenblicklich auf eine einsame Insel wünscht, und zimperlich darf man nicht sein, wenn man dort entlanggeht. Da wird schon mal lautstark gestritten oder gerauft und es werden einem Dinge hinterher gerufen und naja. Ich stelle es mir schwierig vor, eine irgendwie objektive Doku über die Quellenstraße zu drehen. Ed Moschitz hat das versucht und sie war gestern auf ORF zu sehen. Sie trägt den Namen Die Quellenstraße – das bunte Herz von Favoriten.

Leider muss ich sagen hat sich diese Doku wenig von Elisabeth T. Spiras Alltagsgeschichten unterschieden, die ich persönlich auch nicht sehr schätze. Ich als native Favoritnerin habe bei Spiras Dokus nie irgendeinen Erkenntnisgewinn gehabt. Wenn man 37 Jahre seines Lebens im 10. Bezirk verbracht hat, braucht man sich das nicht anzusehen, man hat das täglich so oder ähnlich erlebt. Und einen Blick nach “innen” gab es nicht. Und so ähnlch geht es mir auch bei der Moschitz Doku. Ja, da gibts die Alkoholiker und die, die auf die Ausländer schimpfen, die resignierten Arbeitslosen und die Kleinkriminellen und ja, auch ein paar MigrantInnen, die sich hier mehr oder weniger wohlfühlen. Und natürlich die allgemeine Tristesse, die die Quellenstraße zu umhüllen scheint. Aber was weiter? Was ist dahinter? Wo ist der Blick hinter die Fassade? Zeigt man eine Art von Wirklichkeit oder reporduziert man bloß Klischees? Und vor allem: was macht man, um das Zusammenleben vielleicht angenehmer zu gestalten. Wie ich schon einmal hier schrieb: Favoriten braucht mehr Aufmerksamkeit und mehr Zuwendung.

Das einzige Segment der Doku, dass mich überrascht und überzeugt hat war die Passage über die Besitzer des Erotikkinos Fortuna – das sich genaugenommen nicht auf der Quellenstraße befindet, sondern auf der Favoritenstraße, etwas oberhalb vom Reumannplatz befindet, aber ok. Eine Frau und ein (ursprünglich) Mann, der sich als beidgeschlechtlich fühlt. Was die beiden zu sagen hatten, über ihre Situation und darüber, wie Intersexualität selbst von den eigenen Kinder nicht verstanden oder respektiert wird, war sehr offen und berührend. Genau dieses Fingerspitzengefühl wäre auch an anderer Ort und Stelle nötig gewesen. Aber eines muss der/die ZuschauerIn Moschitz zumindest zugute halten: Es hat niemand gesungen.

TDDL, zwei

Michael Wiederstein war on fire und hat auch am zweiten Lesetag ein schönes Zitat gebracht, als er über den Text von Leander Steinkopf Ein Fest am See sprach:

In der neueren deutschen Literatur, wenn jemand mit dem Boot zur Mitte eines Sees fährt, dann hat er vor sich umzubringen oder er taucht 25 Jahre später wieder auf und fährt mit seiner Mutter durch die Alpen.

Michael Wiederstein sagt auch noch, dass er in dieser Diskussion im Team Dingler/Kaiser ist, was der durchaus sperrige Juror Philipp Dingler mit den Worten kommentiert: “Es gibt kein Team Dingler/Kaiser!” Das wird im weiteren noch unterstrichen, als Jurorin Vea Kaiser betont, dass sie den Text wirklich zum Lachen findet. Das erzürnt Dingler, er maßregelt sie: “Es gibt eine emotionale Ebene und eine diskursive Ebene und wir haben hier den Anspruch, dass wir diskursiv Texte verhandeln.” Klaus Kastberger: “Dieses humorvolle, satirische, das hat schon eine Qualität, die man sehen kann, das darf sich auch ein Bachmann-Text einmal leisten, finde ich und das kann man auch benennen.” Dingler: “Es geht mir darum, dass man die Qualität von Texten nicht damit begründen kann, dass man herzlich gelacht hat.” Mara Delius: “Das möchte ich absolut unterstreichen, denn wir sind hier in einer Jury, die natürlich auch in einer gewissen ästhetischen-kritischen Tradition steht, die können Sie natürlich ablehnen, wenn Sie das wollen, aber sie müssen sie zumindest zu Kenntnis nehmen, das wäre schon mal ein Anfang, deshalb wollte ich Ihren ästhetisch-kritischen Punkt unterstützen, Herr Dingler, ohne mich zugleich in ihr Team einzureihen.”

Es ist so herrlich. Die Jury Diskussionen sind noch viel besser als die Texte.

TDDL, eins

Für solche Jurorenkommentare liebe ich die Tage der deutschsprachigen Literatur:

“Der Text führt alles aus, es bleibt kein Raum mehr, es bleibt keine intellektuelle Manövriermasse.”

Michael Wiederstein über den Text Die andere Frau von Magda Woitzuck

Ich finde, Wiederstein hat mit seinem Befund recht, was aber nicht heißt, dass der Text nicht seine Geheimnisse hat. Ich habe am Ende etwas vermutet, was keiner der JurorInnen angesprochen hat und jetzt weiß ich nicht, ob ich komplett auf dem Holzweg bin oder die anderen.

Zitti e buoni

Italien hat es also tatsächlich geschafft, den ESC zu gewinnen. Das Voting war so spannend, ich hab fast einen Herzinfarkt bekommen.

Ich freue mich sehr, nicht zuletzt deshalb, weil das 2022 vielleicht wieder einen chaotisch-liebenswerten Bewerb in Rom gibt, wie damals 1991. Aber Spaß beseite: Dass ein Song, der derart wild, unangepasst und ja, auch strange ist gewinnen kann, hätte ich mir nicht vorstellen können. Zumal in einem Genre, das nicht gerade zu den beliebtesten in der Songcontest Geschichte zählt. Aber so richtig an Genregrenzen hält sich Zitti e buoni ja jetzt auch nicht unbedingt.

Im Vorfeld haben viele Menschen gesagt: Ja, der Song ist schon gut, auch Qualitätsmusik, aber gewinnen wird das nicht. Das polarisiert zu sehr. Andererseits sagt Marco Schreuder immer wieder gerne, dass polarisierende Songs oft gute Chancen haben, weil man nur FÜR einen Song anrufen kann und nicht dagegen. Und wenn man alleine an jüngere Siegerlieder wie 1944 oder Amor pelos dois denkt (wo ich im Vorfeld gefühlt die Einzige war, die das gut fand), dann hat er vermutlich recht. Im Standard hat Schreuder einige ESC Aficionado befragt, was das Erfolgsrezept für einen Gewinn ist und da wurden schon kluge Dinge gesagt, wie, dass es um das gewisse Etwas geht, dass es nicht mal besonders perfekt vorgetragen sein muss. Ich denke persönlich, man muss auch den Zeitgeist treffen. Und der lautet wohl 2021: “Sono fuori di testa – ma diverso da loro” Was ungefähr bedeutet: “Ich bin verrückt, aber anders als die anderen.”

In diesem Sinne: See you in Rome! (or Milano)

Gedanken vorm Finale

Also dafür, dass ich ursprünglich recht skeptisch dem italienischen Beitrag gegenüberstand, bin ich jetzt fast schon ein glühender Fan. Weil das ist schon sehr großartig, was sie da auf die Bühne stellen, sowohl musikalisch als auch vom Glam-Faktor her.

Ich glaube tatsächlich, dass es da am Samstag um den Sieg geht. Gefährlichste Konkurrentin sicher Barbara Pravi aus Frankreich, stark ist aber natürlich auch Malta und die Schweiz. Wobei die beiden letztgenannten m.E. etwas zu nah den den Gewinnern jeweils von 2018 und 2019 dran sind. Das Dark Horse ist mittlerweile sicherlich die Ukraine, die zwar den wohl verstörendsten, aber auch einen der interessantesten Auftritte hinlegt.

Weniger Chancen sehe ich nach den Live-Performances mittlerweile für Litauen und Island, wobei zumindest die Isländer auch in den Top 10 landen werden. Top 10 vorstellbar ist für mich defintiv auch San Marino, die schon eine sehr unterhaltsame Performance mit Flo Rida hinlegen, der offensichtlich ziemlich viel Spaß hat (oder es zumindest sehr gut vortäuscht). Meiner Meinung nach könnte nach dem Semifinale jetzt auch Portugal überraschend in den Top 10 auftauchen, was ich mir noch vor drei Tagen niemals hätte vorstellen können. Vermutlich schafft das auch Finnland, aber mit denen kann ich einfach leider trotzdem gar nichts anfangen.

Achja und weil heute ja auch in den Radiostationen all over Europe der besten Songcontest Song aller Zeiten gewählt wird. Ich tippe auf Gewinnerin Loreen mit Euphoria. Nur fürs Protokoll.

Review 2. Semi

Tja, das war es dann wohl. Österreich hat es leider nicht geschafft, ins Finale am Samstag einzuziehen, obwohl Vincent Bueno m.E. einen wirklich guten und emotionalen Auftritt hingelegt hat, der mit einer tollen Lichtshow in Szene gesetzt wurde. Dass das mit dem Finale nichts wird, war mir beim Voting ziemlich schnell klar, nachdem gleich zu Beginn zwei Länder, die ich nicht weiter gesehen hätte, ihr Tickelt gelöst haben (Moldawien und Serbien).

Der Rest war eh erwartbar. Wobei mich speziell Portugal sehr positiv überrascht hat. The Black Mamba mit Love is on my side – lange Zeit ziiiemlich weit hinten bei den Buchmachern – haben ein sehr stimmige Performance geliefert. Victorias Song Growing up is getting old kommt, wie schon mal erwähnt, 20 Jahre zu früh für sie, hat aber irgendwie das gewisse Etwas, dem man sich nicht entziehen kann, auch wenn alles denkbar unspektakulär ist und Victoria eine der wenigen KünstlerInnen des diesjährigen ESC ist, über die man kaum etwas hört. Wenig Interviews, wenig “Buzz” rundheurm. Trotzdem seit Anbeginn bei den Buchmachern rund um Platz 5 gereiht.

Am frappierendsten fand ich gestern Tornike Kippianis Auftritt mit You. Wie schon Marco Schreuder in seinem Standard-Blog treffend beschrieben hat, weiß man nicht so richtig, wieso Herr Kippiani eigentlich beim ESC antritt, er scheint emotional nicht sehr beteiligt. Und der Song ist dermaßen langsam und ereignislos, dass man staunt oder wie Schreuder schreibt: “Und wenn man dann hofft, der Song möge sich steigern, setzt er sich erst mal hin.” Immerhin wurde der Song aber strategisch günstig hinter Loco Loco von den Serbinnen platziert, weil danach brauchte man definitiv Erholung.

Was ich mich noch frage: Gjon’s Tears aus der Schweiz mochte ich von Anfang an, auch seine Live Performance ist gut, aber dieses Outfit! Warum?

Poor Iceland

Island hat ESC-technisch jetzt wirklich in allen Belangen die Arschkarte gezogen, ich kanns nicht anders sagen.

Letztes Jahr quasi schon fast der sichere Sieger mit Thinking about things, sogar mit persönlicher Empfehlung von Russell Crowe, dann wird der ESC abgesagt. Heuer dann ein neues Lied, das natürlich nicht mit dem Hype des vergangenen mithalten kann. Aber nach anfänglichen Irritationen arbeitet sich Island bei den Buchmachern nach vorne und steht derzeit auf Platz 6. Am Sonntag mussten sie in Quarantäne, weil jemand aus der Delegation positiv getestet wurde, aber das war ja bei anderen auch der Fall und hat sich dann als falsch positiv herausgestellt. Nicht so bei Island, noch schlimmer: jemand von der Band wurde gestern positiv getestet. Damit ist klar: Daði Freyr und seine Band werden nicht live auftreten können, weder gestern beim Durchgang für die Jurywertung, noch heute beim zweiten Semifinale und auch nicht am Samstag beim Finale (ich gehe mal davon aus, dass sie ins Finale kommen werden).

Das ist wirklich richtig, richtig bitter. Trostpflaster zwar, dass sie trotzdem teilnehmen können, aber gerade eine Band wie Daði Freyr und Gagnamagnið leben von der Interaktion mit Fans, vom tatsächlichen live performen. Ich wünsche ihnen, dass sie einen guten Platz schaffen.

P.S Ich hab mir gestern die Juryshow “angeschaut” – also bei Wiwibloggs die kommentieren die Juryshow, und man hört nur die Musik, sieht aber nichts. Und da war die Performance von Island (Aufnahme vom 2. Rehearsal) wirklich gut.

P.P.S Ja, ich bin ein Nerd, der sich Juryshows ohne Bild anschaut.

Review 1. Semi

Gestern ging also das erste ESC Semifinale über die Bühne und es war wieder interessant zu sehen, dass die Songs auf so einer riesigen Bühne mitunter dann ganz anders wirken als wenn man die reine Studioversion hört.

Beispiel Russland: Ich fand den Auftritt von Manizha sehr beeindruckend, obwohl ich nicht der allergrößte Fan des Songs bin. Sehr sehr gut fand ich die Ukraine gestern, die ihren durchaus sperrigen Song Shum wirklich hervorragend in Szene gesetzt haben, visuell ganz stark! Langsam gewöhne ich mich auch an den Schreigesang. Und Belgien ist erfreulicherweise tatsächlich weiter, mit einer überzeugenden stimmlichen Leistung der Hooverphonic Sängerin, einem intimen Setting mit Blair Witch Projekt artigen Einspielungen im Hintergrund.

Etwas verhungert ist m.E. Litauen mit Discoteque. Ich mag den Song wirklich gern, aber er verliert sich leider etwas auf der großen Bühne. Aber Gott sei Dank trotzdem weiter.

Australien hat eindrucksvoll bewiesen, dass an der Live on Tape Performance im Nachhinein wirklich nichts mehr verändert werden darf. Das waren wirklich sehr viele schiefe Töne. Auch bei Irland und was sollte diese überladende hektische Bühnenshow? Da hat man den Pfad des Videos leider komplett verlassen. Somit auch Irland raus. Ebenso wie das angebliche Dark Horse Rumänien, wobei ich nie verstanden habe, was daran so sensationell ist, mir hat Roxens Song letztes Jahr wesentlich besser gefallen.

Fazit: Die Wertung geht für mich in Ordnung.

Stand in

Heute ist das 1. ESC Semifinale – ich freue mich schon sehr.

Auch die Ukraine wird teilnehmen und mit ihrer weißer Gesang/ Rave / Apokalypse Nummer ganz sicher weiterkommen. Letzte Woche musste die Sängerin allerdings im 2. Rehearsal wegen Unpässlichkeit pausieren und in den Niederlanden wurde eine Sängerin gesucht, die einspringen kann – sonst gibts keine Probe. Das war nicht so leicht denn es musste eine Sängerin sein die a) ukrainisch kann, b) singen kann, c) weißen Gesang beherrscht, d) Zeit hatte. Diese wurde gefunden und hat die Sache ganz großartig gemacht, meiner Meinung nach. Ihre Stimme finde ich sogar angenehmer als die der Originalinterpretin ähm.

Marco Schreuder hat auf seinem Standard Blog seine Tipps für heute Abend gegeben. Ich hoffe sehr, dass Belgien weiterkommt, das wird aber nicht einfach.