almis personal blog

Nachtrag Mank

Ich war selbst mal, nämlich 2005, auf dem “Landsitz” von William R. Hearst in San Simeon, Kalifornien. Dem sogenannten Hearst Castle. Man kann (oder konnte zumindest) dort für ca. 25 Dollar Führungen mitmachen.

Die Palmen von Hearst Castle, August 2005

Alle Amerikaner dort so: Oh my god, it is beautiful.

Alle Europäer dort so: What the fuck!?

Außenpool

Ich mein, es ist faszinierend. So wie auch Las Vegas in seiner völlig absurden Skurillität faszinierend ist. Mister Hearst hat einfach alles genommen, was ihn an Architektur begeistert hat und hat es sich (ein)bauen lassen, bis er kein Geld mehr gehabt hat.

Innenpool

Als Marion, die Geliebte von Hearst, Mank im Film fragt, was er von Hearst Castle hält, zitiert George Bernhard Shaw: “What God would have built, if he had the money…”

Stimmung in Hearst Castle

Mank

Als ich über Pauline Kaels Biografie recherchiert habe, hab ich auch gelesen, dass sie ein Buch über Citizen Kane namens Raising Kane und Orson Welles geschrieben hat, in dem sie Orson Welles quasi vorwirft, dass dieser sich alle Lorbeeren für den bahnbrechenden Film selbst umgehängt hat, er war ja Hauptdarsteller und Regisseur, und auf den tatsächlichen Drehbuchautor Herman Mankiewicz (genannt Mank) “vergessen” hat.

David Fincher wiederum hat einen – durch Corona beinahe komplett untergegangen – Film über eben diesen Drehbuchautor gemacht, der Film heißt Mank und hatte 2020 kaum einen Kino Release. Er erzählt die Geschichte der Zeit als Mank Citizien Kane schrieb – von Orson Welles beauftragt, alleine mit einer Physiotherapeutin (er hatte ein gebrochenes Bein) und einer Sekretärin in einem verlassenen Haus in der Mojave Wüste. Dazu erfährt man in Rückblenden einiges über sein Leben. Mank war schwerer Alkoholiker und sollte in Klausur quasi überwacht werden, damit er sich auf das Schreiben konzentrierte. Plan war, die Geschichte vom Aufstieg und Fall eines reichen Mannes aus verschiedenen Perspektiven zu erzählen. Mank gehörte damals dem Freundeskreis von MGM Boss Louis Mayer und dessen engem Vertrauen, dem Millionär und Zeitungsverleger William R. Hearst, an. Aus Wut darüber, dass alle ihre (politischen) Ideale nach und nach verrieten, entschied Mank sich, Hearst als Vorbild für den Protagonisten in Citizen Kane zu nehmen…

Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal über einen Fincher Film sagen würde, aber Mank ist zwar ein guter Film, mir aber fast ein bisschen zu akademisch. Man hat das Gefühl, es bräuchte eigentlich nach jeder Szene eine Reihe von Fußnoten. Wenn man wenig über das Hollywood der 1930-er und 1940-er weiß und Citizen Kane nicht kennt (oder, wie ich, schon vor Ewigkeiten gesehen hat), ist es teilweise schwer, alles an den elaborierten Dialogen zu verstehen. Hier gilt aber wieder “form follows function” – etwas, das Mank im Film an einer Stelle auch sagt. Denn: Citizen Kane wäre damals dann fast nicht gedreht worden, weil das Drehbuch so komplex und sperrig war. Der Film war auch ein Flop an den Kassen, bis er dann Kultstatus erlangte und bis heute als einer der besten Filme überhaupt gilt.

Gary Oldman als Mank ist wie immer super, wenn er einen höchst facettenreichen und intelligenten, gleichzeitig aber dysfunktionalen bis kaputten Typ spielen muss. Amanda Seyfried, die ich bisher nur aus eher leichten Komödien kannte, ist hier erstaunlich tiefgründig als Geliebte von Hearst und sieht auch so aus, als käme sie direkt aus dieser Zeit. Ja und spannend ist natürlich, dass hier – ähnlich wie heuer bei Priscilla von Sofia Coppola – die für die Öffentlichkeit weitaus bekanntere Person (Orson Welles) kaum vorkommt. Der Film stellt sich total auf die Seite von Mank.

Mank hatte, wie gesagt, einige Mühe, sich in die Credits hineinzureklamieren, was darin gipfelte, dass beide, er und Welles, dann gemeinsam den Drehbuchoscar gewannen, aber niemand zur Verleihung erschienen ist. Als Mankiewicz einen Tag später vor die Kameras trat und den Oscar in Empfang nahm sagte er: “I am very happy to accept this award in the manner in which this screenplay was written, which is to say, in the absence of Orson Welles.” Als der Journalist ihn daraufhin fragt, wieso Welles dann als Autor genannt wurde, entgegnete Mank: “Well, that my friend, is the magic of the movies.”

Ein Beispiel jedenfalls wieder dafür, dass die Entstehung eines Werkes einen ebenso spannenden Filmstoff abgeben kann wie das Werk selbst. Aber vorher, wenn möglich, nochmal Citizen Kane ansehen.

Tarantinos zehnter Film

Quentin Tarantino hat ja schon vor einiger Zeit kundgetan, dass er nur zehn Filme drehen wird und etwas beamtenmäßig quasi mit Mitte 60 in Pension gehen will.

Vor ungefähr einem Jahr wurde bekannt, dass sein letzter Film The Film Critic heißen würde und das war für mich sehr erfreulich, denn erstens klingt das nach einem Plot, der mich sehr interessiert und zweitens danach, als könne man nicht mehr als ein vielleicht zehnminütiges Gemetzel einbauen. Jetzt werden einige sagen, da passt ja eigentlich überhaupt kein Gemetzel, aber Tarantino findet ja immer einen Vorwand. Ich meine, dass es wenige Hollywood Auteurs gibt, die bessere Monologe oder Dialoge schreiben als Tarantino, aber auf die Gewalt in seinen Filmen könnte ich persönlich sehr gut verzichten (auch wenn ich weiß, dass sie oft integraler Bestandteil der Handlung sind).

Die Filmkritikerin, die Tarantino ursprünglich porträtieren wollte, wäre Pauline Kael (1919-2001) gewesen, die bekannteste Rezensentin in den USA wahrscheinlich überhaupt, deren Kritiken als Kunstwerke für sich gelten. Ich kenne sie schon durch die Referenzen von Roger Ebert, ein ebenfalls sehr prominenter Filmkritiker, von dem ich einige Bücher gelesen habe. Als Tochter von jüdischen polnischen Einwandern schlug sich Kael später als alleinerziehende Mutter mit allen möglichen Jobs durch, um ihrem Kind eine notwendige Herzoperation zu finanzieren. Ihr Kurzzeit-Ehemann, der nicht der Vater war, übernahm dann die Kosten für die OP und machte sie außerdem zur Managerin seines Kinos. Kael schrieb 30 Jahre für den New Yorker, arbeitete auch ein Jahr direkt im Filmbusiness als Produzentin in Hollywood – wechselte dann aber wieder zurück auf die andere Seite. Ihre Fans nannten sich “the Paulettes”, Clint Eastwood bezeichnete sie als seine Nemesis, George Lucas erfand eine Filmfigur, die nach ihr benannt wurde – “General Kael”. Kael veriss seinen Film und bezeichnete die Figur als “hommage à moi”. Kael hatte die Fähigkeit, Filme “hinauf”- manchmal auch “hinunter” zu schreiben. Später erkrankte sie an Parkinson und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück.

Naja und jetzt macht Tarantino diesen Film doch nicht. Ich finde, jemand anderer sollte ihn doch noch drehen, es klingt so spannend. Nachdem ich das heute alles ein bisschen nachgelesen habe, habe ich mir gleich ein Buch mit Kaels gesammelten Rezensionen bestellt, namens 5000 Nights at the Movies. Ich werde dann sicher etwas darüber berichten können.

Die Affäre der Sunny von B.

Heute etwas Retro-Kino.

Letztens habe ich Die Affäre der Sunny von B. erstmals gesehen, ein Film aus dem Jahr 1990, in dem Jeremy Irons eine Hauptrolle spielt und dafür den Oscar erhalten hat. Der Film beruht auf der wahren Geschichte der Sunny von Bülow (im Film Glenn Close), einer millionenschweren US-amerikanischen Erbin, ihrer (zweiten) Ehe mit Claus von Bülow (Irons) und ihrem, wenn man so will, langen Tod. Sie fiel 1980 ins Koma und starb letztlich 2008, ohne noch einmal das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.

Im Film wird Claus beschuldigt, seine Frau mit Insulin vergiftet zu haben, weil die Ehe in einer schweren Krise war. Bei der ersten Insulinüberdosis dauerte das Koma nur einen Tag. Ein Jahr später wiederholte sich das Ereignis, mit den bekannten Folgen. Claus von Bülow wurde erstinstanzlich des Mordes für schuldig befunden und zu 30 Jahren Haft verurteilt. Mit Hilfe des Harvard Professors Alan M. Dershowitz (Ron Silver) rollt er den Fall neu auf und genau davon handelt der Film.

Dieser Film, dessen englischer Originaltitel natürlich wesentlich passender The Reversal of Fortune heißt, läuft zunächst auf ein klassisches Gerichtssaal-Drama Szenario zu. Anwalt Dershowitz versammelt seine begabtesten Studenten um sich, und zwar sprichwörtlich in seinem eigenen Haus, damit sie ihn bei der Recherche und letztlich Entlastung des Angeklagten helfen, jeder bekommt ein eigenes Themenfeld. Und das, obwohl Dershowitz selbst zunächst nicht sicher ist, ob von Bülow schuldig ist oder nicht.

Gleich zu Beginn will eine der Studentinnen, die idealistische Minnie (Felicity Huffman) aussteigen, weil sie sich als eine moralische Instanz begreift – und von Bülow für den Täter hält; folglich kann sie ihn nicht vertreten. Dershowitz hält ihr daraufhin eine äußerst amüsante, flammende Rede, die nicht von Moral handelt, Zitat: “If lawyers only defended innocent clients there would only be twelve defense attorneys and none of you would be able to find a job.” Sie handelt vom Recht auf eine Verteidigung für jeden, denn, so Dershowitz zu Minnie: “You’re sure he is guilty, a hundred percent sure?” Er spricht von Ambivalenzen und er spricht davon, dass von Bülows Stiefkinder den ersten Prozess durch ihre finanziellen Mittel in die Bahn gelenkt haben, die sie wollten. Soll Geld zukünftig über Schuld oder Unschuld entscheiden?

Die Affäre der Sunny von B. ist eine dialoglastige Persönlichkeitsstudie gleich mehrerer Personen, nicht nur Claus, sondern auch Alan und Sunny (die teilweise als nicht-allwissende Erzählerin zum Einsatz kommt und aus dem Koma spricht) Sunny ist bzw. war schwer depressiv, von diversen Drogen abhängig und ohne Sinn im Leben, da hilft das ganze Geld nichts. Claus ist ein schwer zu fassender Charakter, mit seiner manierierten Sprechweise (quasi wie sich ein Deutsch-Däne einen britischen Akzent vorstellt) und seiner stocksteifen Haltung, seinem trockenem Humor, der nicht ankommt, weil Claus zu diabolisch für Ironie wirkt, und seinem Drang danach, endlich wieder arbeiten zu dürfen (ein ewiger Streitpunkt mit Sunny, die ihm das nicht erlauben will). Und schließlich im Gegensatz dazu Alan, der arbeiten “darf”, für den sein Beruf auch alles ist, der das Haus mit Menschen und Arbeit füllt um – wie seine Ex, ebenfalls eine mithelfende Juristin nebenbei feststellt – über nichts anderes nachdenken zu müssen.

Den großen Gerichtshow Moment erleben wir hier ebensowenig wie ein abschließendes Resümee über Claus von Bülow oder der High Society an sich. Ich mag den Film, weil er so unklassisch inszeniert ist, hin und her springt und herrlich skurille Szenen hat, wie die als Claus mit dem ganzen Studentenrudel in einem chinesischen Lokal isst – wie ein kompletter Fremdkörper und doch endlich einmal so etwas wie fröhlich erscheint. Die Mahlzeiten in der Bülow’schen Villa, so sagt Claus etwas später im Film, wären immer sehr ernst und wortkarg verlaufen.

Man hätte diesen Film sehr viel konzentrierter gestalten können, mit einem Nervenkitzel-Showdown, von mir aus der amerikanischen Flagge und Justitia, die Recht gesprochen hat, die Gerechtigkeit, die triumphiert (oder auch nicht, je nach eigener Sichtweise) Jedenfalls mit ganz viel Pathos, aber mir gefällt gerade diese Hemdsärmeligkeit, dieses irgendwie Improvisierte, dieser Hybrid auch aus verschiedenen Genres. Dass man nicht das bekommt, was man erwartet hat, finde ich hier eine sehr reizvolle Symbolik angesichts der erzählten Geschichte.

Ripley neu

Vor einigen Tagen hatte eine neue Miniserie auf Netflix Premiere – Ripley, basierend auf dem Patricia Highsmith Roman Der talentierte Mr. Ripley (unbezahlte Werbung)

Sie umfasst acht Teile, jeder Teil dauert etwa eine Stunde (mal etwas kürzer, mal etwas länger), und wenn man bedenkt, dass der Roman jetzt nicht extrem dick ist, ist das ganz schön viel. Nachdem ich sowohl den Roman erst kürzlich gelesen, als auch die Verfilmung von Anthony Minghella aus dem Jahr 1999 gesehen habe, war ich sehr gespannt, was Regisseur und Drehbuchautor Steve Zaillian daraus gemacht hat. Zudem spielt Andrew Scott (der “hot priest” aus Fleabag) die Titelrolle. Ich habe zwei Abende mit Ripley verbracht und einige Zeit in der Sonne, um darüber zu schreiben.

Viel kann ich noch nicht verraten, weil ich alles in meiner Kolumne für Uncut ausführlich besprochen habe, aber gerade die ersten Folgen waren durchaus herausfordernd. Weil die Serie ist langsam, wirklich langsam erzählt. Und das sage ich als jemand, der damit an sich kein Problem hat. Und: Sie ist komplett schwarz/weiß gedreht. Sie ist sehr düster und quasi das komplette Gegenteil zum Minghella-Film, der bunt und voller Lebensfreude war.

Einer der besten Freunde von Dickie Greenleaf (im Film Jude Law), jener Dickie, den Tom Ripley (Matt Damon) in Italien aufspüren und nach Hause bringen soll, ist Frederick Miles (Philipp Seymour Hoffmann). Miles ist ein richtig oberflächliches amerikanisches Arschloch, das sich einbildet, der bessere Italiener und überhaupt ein Geschenk Gottes an die Welt zu zu sein, komplett von sich eingenommen und total neben der Spur. Und so großartig gespielt! Auf Twitter wurde das gerade gewürdigt:

Solche Szenen sieht man in Ripley nicht. Freddie Miles wird in der neuen Version von einer nonbinären Person (Eliot Sumner, das Kind von Sting) gespielt, der/die zwar eindrucksvoll ziemlich abseitig agiert, aber quasi das komplette Gegenteil des flamboyanten Schwerenöters der Vorlage (und des Filmes) ist.

Ein User schreibt in der Internet Movie Database über Ripley: “I’m 5 episodes in and I want to jump off a tall building.” Harhar. So schlimm fand ich es jetzt nicht, aber ich habe doch einige Fragen. Bald in meiner Kolumne zu lesen, die ich hier, wie man merkt, anteasere.

Dream Scenario

Dann habe ich Dream Scenario gesehen, den neuen Film von Kristoffer Borgli mit Nicolas Cage.

Eine Kritik versprach es wäre die “Nicolas Cagiest performance ever”. Was gleichzeitig neugierig und auch etwas Angst macht. Cage spielt jedenfalls den in jeder Beziehung ziemlich durchschnittlichen Uni Professor Paul Matthews, dessen Ziel es ist, seine Ameisenforschung via Publikation einem breiteren Publikum näherzubringen. Tatsächlich erfährt er auf andere Weise Berühmtheit: Von einem Tag auf den anderen erscheint er in den Träumen bekannter und auch komplett fremder Menschen – rund um den Globus. Matthews tut gar nichts in diesen Träumen, er geht nur unbeteiligt herum oder steht da und schaut; dennoch geht er mit diesem Phänomen viral und erlebt seine 15 Minuten Ruhm. Bis sich die Dinge ändern…

Dream Scenario wird als Komödie beworben und es beginnt auch recht lustig. Wie die Prämisse des Films sich entfaltet, wie Matthews seinen Chef fragt, ob dieser von ihm geträumt hat, wie er plötzlich der beliebteste Professor der Uni wird, wie eine Marketingagentur Matthews einen Deal anbietet. Bald schon aber fragt man sich: Wie gehts weiter, was ist hier noch zu erfahren? Was kommt nach dieser sehr guten Idee, die aber nicht auf Spielfilmlänge trägt. Borgli entscheidet sich für einen Twist, der den Film – zumindest meinem Empfinden nach – in eher düstere Gefilde führt. Ich spoilere jetzt minimal, Borgli will damit wohl weniger eine Geschichte weitererzählen, sondern eher auf ein gesellschaftliches Phänomen aufmerksam machen, nämlich wie schnell man in diesen Tagen berühmt und dann auch wieder fallengelassen werden kann. Wie man dem Drehen der öffentlichen Meinung ausgeliefert sein kann, auch wenn man, wie Paul, gar nichts tut.

Für mich funktioniert das nicht. Ich finde den “skandinavischen” Look des Films grün-braun-grau schon während der witzigen Phase des Films deprimierend, die Traumsequenzen sind im Vergleich zu anderen “Traum”-Filmen wie Inception oder Eternal Sunshine of the Spotless Mind eher uninspiriert und vor allem kann ich mit dem Protagonisten gar nichts anfangen. Ok, Matthews soll ein nach außen hin langweiliger Mensch sein. Aber es hätte die Möglichkeit gegeben, ihn trotzdem zu einer vielschichtigen Figur zu machen, die einfach in der Öffentlichkeit zurückhaltend und blass wirkt, aber im Verborgenen stahlt und damit für die Zuseher interessant wird; aber Borgli bringt uns diesen Mensch nicht wirklich näher, was er fühlt, was in ihm vorgeht (abgesehen von der Obessesion mit Ameisen), wie er das Leben sieht. Selbst als Matthews etwas recht einschneidendes passiert, erfahren wir nicht, wie er sich dazu positioniert, was für Gedanken ihm nun durch den Kopf gehen.

Ja, Nicolas Cage ist gut, wenn er selbstironisch ist, er kennt überhaupt keine Eitelkeit, er hat sich oft genug über sich selbst und seine wilde Karriere lustig gemacht. Geboren in eine Schauspieldynastie, eigentlich heißt er ja Coppola, nimmt er extra einen anderen Namen an, und liefert alles von sehr guten Performances (Oscar für Leaving Las Vegas) bis hin zum extremen Overacting, er spielt in Qualitätsfilmen und in Trashproduktionen, heiratet oft, ist Elvis-Fan, hat Spielschulden, parodiert sich und seinen Nimbus erst unlängst in dem Film Massive Talent. Das alles denkt man ja immer ein bisschen mit, wenn er auf der Leinwand erscheint. Er hätte sich in Dream Scenario einen komplexeren Charakter verdient.

Natural Born Killers, zwei

Man sagt ja, jeder herausragende Film hat drei gute Szenen, die einem sofort einfallen, wenn man an ihn denkt.

Natural Born Killers hat schon in den ersten Minuten zwei ganz erstaulich starke Szenen. In der allerersten Szene besuchen Mickey und Mallory ein Diner und erschießen dort gleich mal grundlos drei Menschen. Danach versichern sie sich, wie sehr sie sich lieben – diese Liebe ist auch glaubwürdig – und tanzen zu Edith Piafs La vie en Rose eine Art Walzer und im Hintergrund sieht man Paris projiziert und ein Feuerwerk und das ist irgendwie so ein romantischer Moment, bei dem man sich als Zuschauer fragt, wieso man diesen als solchen empfinden kann, direkt nach drei Morden?

Nur ein paar Augenblicke später erfahren wir etwas über Mallorys Kindheit und Jugend. Ihr Vater war verbal und physisch äußerst gewalttätig und hat Mallory wiederholt missbraucht. Aber das Ganze wird nicht konventionell mit einer Rückblende, einem Voice over oder einer Montage geschildert, sondern wir sehen Mallorys Mutter, ihren kleinen Bruder und den Vater am Tisch sitzen und miteinander sprechen, gefilmt im Stil einer amerikanischen Sitcom, wo das Publikum im Hintergrund mechanisch lacht. Die Aussagen des Vaters sind so respektlos und grausam, dazu dieses vollkommen deplatzierte Lachen aus dem Off, das ist auf eine ganz besonders arge Weise gruselig. Ich bewundere das, wenn ein Regisseur sich traut, etwas so ganz anders zu erzählen als man das normalerweise macht und dabei ein Genre bewusst zu pervertieren.

Der ganze Film ist wie ein Fiebertraum, wie ein zweistündiges Musikvideo, mit unheimlich vielen Schnitten und der typischen Videoclip-Erzählweise, wo eben nicht alles ausformuliert und durchdekliniert wird, sondern es ganz viel um die Vermittlung von Stimmungen durch Einsatz von Bildern, Licht und eben Musik geht. Damit ist Natural Born Killers natürlich wieder komplett ein Phänomen seiner Zeit, denn die 1990er Jahren waren auch die goldene Jahre für MTV und andere Musiksender. Eine Szene, in der Mickey und Mallory mit dem Auto vor einer Rückprojektionsleinwand fahren, hat mich total an das Guns n’ Roses Video zum Song Since I don’t have you erinnert, wo Axl Rose mit Gary Oldman auch in einem Auto vor so einer Leinwand “fährt”. Ich weiß gar nicht, was zuerst da war, der Film oder das Musikvideo. Ich hab dazu auch weiter nichts ergooglen können, was bedeutet, dass meine Assoziation entweder so genial ist, dass noch niemand vorher draufgekommen ist, oder aber, dass es komplett an den Haaren herbeigezogen ist.

Was will dieser Film aber nun wirklich? Laut Aussage von Stone und Co. ist er eine Satire, die beleuchten soll, was in den USA schiefläuft, aber vielleicht auch, was generell gesamtgesellschaftlich nicht funktioniert. Mickey und Mallory sind zu Mördern geworden, weil niemand die Gewaltspirale gestoppt hat, in die sie quasi hineingeboren werden, die alte Theorie: “Hurt people hurt people” ist auch hier zutreffend. Weder die Justiz, noch der Polizeiapparat und natürlich schon gar nicht die Medien sind irgendeine Art von moralischer Instanz, die irgendwie hilfreich oder gar vorbildhaft wären, im Leben von Menschen. Der reißerische TV Moderator berichtet ja sogar, wie die beiden quasi aus “perfekten liebenden Familien” heraus zu Monstern geworden sind, also eine komplette Verdrehung der Tatsachen, aus reiner Sensationsgier und um sich nicht mit Ambivalenzen herumschlagen zu müssen. Mickey und Mallory holen sich die Aufmerksamkeit, die sie nie bekommen haben, nun mit brutaler Gewalt, weil ihnen niemand einen Weg zur Aufarbeitung ihrer Traumata angeboten hat. Was aber gleichzeitig nicht die Taten rechtfertigt.

Natural Born Killers ist natürlich ein arger und auch brutaler Film, aber die Gewalt wird weniger gezeigt als man meinen könnte. Es ist kein Splattermovie oder Horrofilm und es ist auch kein Film mit einfachen Antworten oder Lösungen. Es ist – trotz allem Pop-Look, sowie visueller und musikalischer Überladung – ein Werk, das sehr eindringlich nachwirkt

Natural Born Killers

Das Jahr 1994 war ein herausragendes Filmjahr mit Filmen wie Pulp Fiction, Forrest Gump, Die Verurteilten, Vier Hochzeiten und ein Todesfall etc.

Es war das Jahr, in dem ich 18 Jahre alt geworden bin und ich kann mich noch genau daran erinnern, als wir im Kino standen und überlegten, uns Natural Born Killers anzusehen, was wir ja mit 18 durften. Der Film kam nämlich ebenfalls damals heraus und war von einer großen Kontroverse bezüglich der Darstellung von Gewalt und der angeblichen Verherrlichung dieser begleitet. Aber irgendwie traute ich mich nicht und wollte diesen Film nicht sehen. Dann vergingen kurz mal 30 Jahre und dann hörte ich eine Folge des FM4 Filmcast zum Thema Filmjahr 1994, in der der Film besprochen wurde. Und die Folge war so interessant, dass ich am Wochenende also erstmals Natural Born Killers gesehen habe. Er war komplett anders als ich ihn mir vorgestellt habe und ich bin irgendwie fasziniert von diesem Film.

Es können Spoiler folgen, weil ich mein, der Film ist 30 Jahre alt. Wer ihn sehen wollte hat ihn vermutlich gesehen. Harhar. Es geht jedenfalls um Mickey (Woody Harrelson) und Mallory (Juliette Lewis) Knox, einem Ehepaar beide aus sehr schlimmen Verhältnissen, mit “terrible childhoods”, die mit Drogen vollgepumpt einen Roadtrip durch die USA machen und nach drei Wochen bereits 50 Menschen getötet haben, begleitet quasi von einer Liveberichterstattung in den Medien, die sie zu zweifelhaften Stars macht. Nach dem einzigen Mord, der ein Unfall war – und dessen Opfer ein Navaro Indianer eigentlich die einzig integere Person in dem ganzen Film ist – und den sie eigentlich bereuen, werden sie festgenommen und in ein Hochsicherheitsgefängnis gesteckt, wo aus dem Roadmovie quasi ein Gefägnismeutereifilm bzw. eine Mediensatire wird…

So, wo fange ich an. Vielleicht bei den Personen und hier mit Woody Harrelson. Harrelson ist durchaus ein Teil der Hollywood-Industrie, allerdings ist er auch einer ihrer großen Außenseiter. Zwar dreimal Oscar nominiert und auch respektiert, vertritt er wohl eher keine Mainstreammeinung zu egal welchem Thema und ist auch sehr Amerika-kritisch. Bei der Präsentation seines Films Triangle of Sadness in Cannes 2022, in dem er einen zynischen amerikanischen Schiffskapitän mit Hang zum Kommunismus darstellt, hat er gemeint, er findet es miserabel, wenn ein Land ohne provoziert zu werden, mit der ganzen militärischen Macht ein Land attaktiert wie “Irak äh sorry, Afganisthan, äh sorry, Viet- sorry, Korea. Ach so, wir reden ja über die Ukraine.” Mich wundert es, dass Harrelson in den USA noch Rollen bekommt, harhar, aber gewisse Freigeister gibt es ja dann doch. Jedenfalls kann man kaum glauben, dass Harrelson 1993 Ein unmoralisches Angebot gedreht hat, wo er den sanften, etwas unbeholfenden, zutiefst verzweifelten und verletzten Mann von Demi Moore gespielt hat und dann ein Jahr darauf diese Figur des Serienmörders in Natural Born Killers und in beiden Rollen war er extrem glaubwürdig.

Harrelson passt aber sehr gut zu Regisseur Oliver Stone, der ja auch eine gewisse Außenseiter-Position in Hollywood hat, auch immer große amerikanische Geschichten und ihre Brüche genauer unter die Lupe genommen hat (JFK, Platoon, Geboren am 4. Juli, Wall Street, Nixon, Snowden). Im Filmpodcast wurde erzählt, dass Stone zu Natural Born Killers Interviews gegeben hat, in denen er wie ein französischer Intellektueller aufgetreten ist, der nur in Referenzen und Anspielungen spricht. Stone ist ja kein Splatter Regisseur oder jemand, der auf den billiger Schock aus ist, er war damals bereits 47 Jahre alt und wollte vor allem davon erzählen, wie kaputt das System in Amerika ist und vor allem die Medien (es war gerade die Zeit des O.J.Simpsons Falles).

Robert Downey Junior spielt einen komplett durchgeknallten TV-Journalisten, der Mickey und Mallory im Gefägnis interviewt und seine Bewunderung für die beiden kaum verhehlen kann. Tom Sizemoore einen charakterlich komplett verdorbenen Polizeibeamten und Tommy Lee Jones den Gefängnisdirektor, den er – nach eigener Aussage – nach einer Figur Molieres, in der Tradition der französischen Komödie angelegt hat, auch alles andere als mit leisen Tönen.

Wenn man das jetzt alles im Hinterkopf behält, in seiner ganzen Skurillität, und sich dazu noch vorstellt, dass praktisch das gesamte Team phasenweise auf Drogen war, dann kann man sich vielleicht vorstellen, was für ein wahnsinniger Film dabei herauskommt, und wie sehr dieser permanent auf Anschlag ist- mehr dazu dann morgen.

Das Lehrerzimmer

Der Film Das Lehrerzimmer wurde heuer in der Sparte “Best International Feature” für den Oscar nominiert und ist jetzt auf Amazon Prime zu sehen (unbezahlte Werbung).

Die junge Lehrerin Carla Nowak (Leonie Benesch) ist neu im Kollegium eines Gymnasiums in Hamburg, dass sich eine “Null Toleranz” Politik auf die Fahnen schreibt, nachdem immer öfter Geld gestohlen wird. Eines Tages wird einer ihrer 12-jährigen Schüler, der türkische Junge Ali, des Diebstahls verdächtigt und mit fragwürdigen Methoden bloßgestellt. Der Verdacht kann nicht verifiziert, aber auch nicht eindeutig widerlegt werden. Carla ist entsetzt über die Art und Weise wie Ali behandelt wird, der vermeintliche Rassismus hinter der Anschuldigung stößt ihr sauer auf; sie macht sich nun auf eigene Faust daran, den Täter zu überführen…

Dieser Film, der ausschließlich in diesem Schulgebäude spielt und wo man selbst die Protagonistin niemals privat erlebt und auch nichts über ihr Leben abseits ihres Berufs erfährt, zeigt auch genau das: Den Mikrokosmos oder hier auch das Kriegsgebiet Schule. Eine Zwangsgemeinschaft, in der die Direktorin den Fokus nicht auf Zusammenhalt, sondern auf Misstrauen und Argwohn legt, um Probleme zu lösen und dadurch selbst ein noch viel größeres Problem generiert. Langsam entsteht nämlich eine äußerst toxische Energie, eine Gruppenbildung in Lehrer und Schüler, Jäger und Gejagte, bald gibt es aber auch Friktionen innerhalb dieser Gruppen. Diese Dynamik kann ab einem bestimmten Punkt kaum mehr eingefangen werden. Die positiven Kräfte, die es gibt, wirken schwach.

Nowak wird als übermotivierte Ideologin gezeichnet, die natürlich durchgehend gendert, die “woke” Rituale in ihrer Klasse etabliert, die konsequent ist, dabei auch bewusst transparent und fair auftreten will, die aber für mich vor allem eines ist: wahnsinnig unauthentisch. Sie scheint ein Bild in sich zu haben, wie sich eine Lehrerin zu verhalten hat und dieses Bild lässt sie sich nicht von der tatsächlichen Schulrealität nehmen. Was ihr oft fehlt sind Intuition und Gespür für Menschen und Situationen. Die Behandlung von Ali erscheint ihr zwar zurecht fragwürdig und übergriffig, aber weil ihrer Weltanschauung zufolge ein migrantischer Junge auf keinen Fall der Täter sein kann, was genauso ein Bias ist, sucht sie den wahren Schuldigen auf eigene Faust. Sie meint es gut, verzichtet dabei aber auf alles, das ihr gerade noch so wichtig war: Weitblick, Verhältnismäßigkeit und Rationalität.

Das ist meine Interpretation. Man könnte alle Ereignisse aber auch ganz anders bewerten. Ich glaube, damit hat der Regisseur auch gespielt, mit dieser Ambivalenz. Jedenfalls wünscht man sich bei Das Lehrerzimmer Robin Williams aus Club der toten Dichter herbei, der der ganzen Schulgemeinschaft eine Rede über Liebe, Freiheit und Poesie hält. Diese Schule hätte es bitter nötig.